Morgen kommt ein neuer Himmel
Lori Nelson Spielman
Fischer-Verlag (24. März 2014)
14,99€
Ich
tupfe meine Augen trocken. Tief durchatmen. „Gut“, sage ich. Jeden Moment kann
ich erneut die Fassung verlieren. „Sie sagten, Sie müssten noch etwas mit mir
besprechen.“ Der Anwalt zieht einen zweiten Aktenordner aus einer Ledermappe
und legt ihn vor mich auf den Tisch. „Für Sie hat Elizabeth sich etwas anderes
überlegt.“ Er schlägt den Ordner auf und reicht mir einen vergilbten Zettel.
Ich betrachte ihn. Er ist glattgestrichen, man sieht, dass er einmal zerknüllt
gewesen sein muss. „Was ist das?“ „Eine Liste mit Lebenszielen“, erwidert er. „Ihre
Liste.“
„Morgen kommt ein neuer Himmel“ von
Lori Nelson Spielman (im Englischen weniger poetisch: „The Life List“) handelt
von der 34-jährigen Brett, die gerade ihre geliebte Mutter verloren hat und von
tiefer Trauer geplagt wird, pflegten die beiden doch immer eine sehr innige
Beziehung. Doch Elizabeth wartet auch nach ihrem Tod mit einer Überraschung für
Brett auf: Sie hinterlässt ihrer einzigen Tochter (neben zwei Söhnen), die
gleichzeitig auch immer ihr Sorgenkind war, eine Liste mit Lebenszielen, die
Brett als Vierzehnjährige aufgeschrieben und eigentlich in den Müll geworfen
hatte. Ganze zehn Lebensziele soll Brett von dieser Liste im Laufe des nächsten
Jahres erfüllen, um ihr (nicht unerhebliches) Erbe ausgezahlt zu bekommen.
Zunächst erscheint es so, als wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit, finden sich
doch Punkte darunter wie „1. Ein Kind bekommen, vielleicht zwei“ und „20. Eine
tolle Lehrerin werden“. Doch nach anfänglichen Zweifeln findet die unsichere
Brett wieder zu ihrem alten Selbstvertrauen zurück, sie beginnt, an sich und an
die Erfüllung dieser Liste zu glauben. Manchmal muss man dabei sogar sein
ganzes Leben von Grund auf umkrempeln. So erkennt sie, dass im Leben zu jedem
Zeitpunkt alles möglich ist, auch wenn nicht immer alles so kommt, wie man es
plant.
Es ist ein Buch, das momentan an allen
Ecken und Enden wärmstens empfohlen wird. Die Idee, die dem Buch zugrunde
liegt, hat mich direkt angesprochen, wenn sie auch nicht neu ist und mir
bereits aus Jill Smolinskis „Die Wunschliste“ in ähnlicher Form bekannt war. Gut
gefallen hat mir direkt auch das Cover mit seiner eigenwilligen Farbgebung und
einer Art „Lebensbaum“ über der Überschrift, der all das enthält, was Brett
laut Liste anstreben soll. Das Buch selbst ist extrem gut lesbar, der
Schreibstil ist einfach und geradezu nüchtern, was poetische Elemente angeht.
Durch die Wahl des Ich-Erzählers, gelingt es Spielman, dem Leser ein
umfassendes Bild der Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin nahezubringen,
sodass es sehr leicht fällt, sich mit Brett zu identifizieren. Die Hauptfigur
wird demnach gut ausgeleuchtet, man erfährt ihre Stärken und Schwächen. Weniger
gut gelingt dies Spielman bei ihren anderen Figuren, bei denen sie dazu neigt,
alle ein wenig zu typisieren, so dass sie mehr als Karikaturen von Menschen
erscheinen: die allseits geliebte, charismatische Mutter Elizabeth, der
kaltherzige und neidische Vater, der sie nie lieben konnte, die kapitalistisch
und kleinbürgerlich denkenden Brüder, die kalkulierende und kühle Schwägerin,
der versnobte Freund.
Die Handlung selbst ist, fürchte ich,
sehr vorhersehbar, ohne dass ich nun allzu viel verraten möchte. Ihre Mission
ist durchaus von einem ständigen Auf und Ab geprägt, schließlich muss Brett für
die Erfüllung der Liste ihr ganzes Leben umkrempeln. Dabei verliert das Buch
jedoch nicht seinen hoffnungsvollen, optimistischen Grundtenor, der stets nach
Harmonie strebt. Schon, es geschehen durchaus Dinge, die Wunden schlagen – da gibt
es eine Trennung, den Tod eines Menschen und ein schwieriges Kind, dem nicht
geholfen werden kann. Es gibt auch weitere Probleme, die sich lediglich als
Missverständnisse entpuppen. Doch all den negativen Geschehnissen wird keine
große Bedeutung eingeräumt.
Stets strebt das Buch selbst danach,
nach vorne zu blicken, weiterzumachen, dem Negativen nicht zu viel Raum zu
lassen. Eigentlich ein schöner Gedanke. Eine durch und durch positive
Botschaft, die beim Leser auch als solche ankommt. Dadurch büßt das Buch aber
auch an Authentizität ein. Welcher Mensch kommt so schnell über das Ende einer
langjährigen Beziehung weg? Wem gelingt es, nach dem bösen Ende einer
Freundschaft diese wieder aufleben zu lassen, ohne dass es eine richtige
Aussprache gibt, in der die Dinge beim Namen genannt werden? Wer kann es
einfach so akzeptieren, dass man ein Leben lang über die eigene Herkunft
belogen wurde? Vieles löst sich einfach zu schnell in Wohlgefallen auf. Dies
gilt auch für das Ende, das förmlich nach fünfzig weiteren Seiten schreit. Man
kann danach streben, das Leben so in etwa leben zu wollen, man sollte es die
Hand nehmen, aktiv werden, „Lebe deine Träume“ und so weiter – doch so
harmonisch wie Bretts Leben wird es niemals werden. So ist das Leben einfach
nicht.
Alles in allem kann ich sagen, dass ich
das Buch sehr gerne gelesen habe. Es hat Spaß gemacht, schließlich war es
amüsant und interessant. Ein richtiges Unterhaltungsbuch, mit ein paar
Aufregern (z.B. Andrew, der arrogante Freund oder Herbert, der scheinbar
perfekte Mann schlechthin), aber vor allem vielen humorvollen und schönen
Stellen, die einen lächeln ließen. Die „echte“ Liebesgeschichte hat mir
persönlich nicht so gut gefallen, da ich einen anderen Mann an Bretts Seite
favorisierte (dass sie am Schluss einen kriegt, dürfte ja klar sein). Aber nun
gut. Wenn auch ein echter Konflikt bzw. der Tiefgang in diesem Roman fehlte, so
kann man doch sagen, dass Spielman, die nachfolgenden Satz in ihrer Danksagung
formulierte, etwas in uns bewegt hat: „Letztlich gehört dieses Buch allen
Mädchen und Frauen, die das Verb „träumen“ nicht als Infinitiv, sondern als
Aufforderung verstehen.“ Wie viele andere hat dieses Buch auch mich zum Nachdenken
über meine eigenen Lebensziele angeregt und mir vielleicht sogar ein bisschen
Mut gemacht.
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