Samstag, 19. April 2014

"Träumen" ist kein Infinitiv, sondern eine Aufforderung!

Morgen kommt ein neuer Himmel
Lori Nelson Spielman
Fischer-Verlag (24. März 2014)
14,99€

Ich tupfe meine Augen trocken. Tief durchatmen. „Gut“, sage ich. Jeden Moment kann ich erneut die Fassung verlieren. „Sie sagten, Sie müssten noch etwas mit mir besprechen.“ Der Anwalt zieht einen zweiten Aktenordner aus einer Ledermappe und legt ihn vor mich auf den Tisch. „Für Sie hat Elizabeth sich etwas anderes überlegt.“ Er schlägt den Ordner auf und reicht mir einen vergilbten Zettel. Ich betrachte ihn. Er ist glattgestrichen, man sieht, dass er einmal zerknüllt gewesen sein muss. „Was ist das?“ „Eine Liste mit Lebenszielen“, erwidert er. „Ihre Liste.“

„Morgen kommt ein neuer Himmel“ von Lori Nelson Spielman (im Englischen weniger poetisch: „The Life List“) handelt von der 34-jährigen Brett, die gerade ihre geliebte Mutter verloren hat und von tiefer Trauer geplagt wird, pflegten die beiden doch immer eine sehr innige Beziehung. Doch Elizabeth wartet auch nach ihrem Tod mit einer Überraschung für Brett auf: Sie hinterlässt ihrer einzigen Tochter (neben zwei Söhnen), die gleichzeitig auch immer ihr Sorgenkind war, eine Liste mit Lebenszielen, die Brett als Vierzehnjährige aufgeschrieben und eigentlich in den Müll geworfen hatte. Ganze zehn Lebensziele soll Brett von dieser Liste im Laufe des nächsten Jahres erfüllen, um ihr (nicht unerhebliches) Erbe ausgezahlt zu bekommen. Zunächst erscheint es so, als wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit, finden sich doch Punkte darunter wie „1. Ein Kind bekommen, vielleicht zwei“ und „20. Eine tolle Lehrerin werden“. Doch nach anfänglichen Zweifeln findet die unsichere Brett wieder zu ihrem alten Selbstvertrauen zurück, sie beginnt, an sich und an die Erfüllung dieser Liste zu glauben. Manchmal muss man dabei sogar sein ganzes Leben von Grund auf umkrempeln. So erkennt sie, dass im Leben zu jedem Zeitpunkt alles möglich ist, auch wenn nicht immer alles so kommt, wie man es plant.

Es ist ein Buch, das momentan an allen Ecken und Enden wärmstens empfohlen wird. Die Idee, die dem Buch zugrunde liegt, hat mich direkt angesprochen, wenn sie auch nicht neu ist und mir bereits aus Jill Smolinskis „Die Wunschliste“ in ähnlicher Form bekannt war. Gut gefallen hat mir direkt auch das Cover mit seiner eigenwilligen Farbgebung und einer Art „Lebensbaum“ über der Überschrift, der all das enthält, was Brett laut Liste anstreben soll. Das Buch selbst ist extrem gut lesbar, der Schreibstil ist einfach und geradezu nüchtern, was poetische Elemente angeht. Durch die Wahl des Ich-Erzählers, gelingt es Spielman, dem Leser ein umfassendes Bild der Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin nahezubringen, sodass es sehr leicht fällt, sich mit Brett zu identifizieren. Die Hauptfigur wird demnach gut ausgeleuchtet, man erfährt ihre Stärken und Schwächen. Weniger gut gelingt dies Spielman bei ihren anderen Figuren, bei denen sie dazu neigt, alle ein wenig zu typisieren, so dass sie mehr als Karikaturen von Menschen erscheinen: die allseits geliebte, charismatische Mutter Elizabeth, der kaltherzige und neidische Vater, der sie nie lieben konnte, die kapitalistisch und kleinbürgerlich denkenden Brüder, die kalkulierende und kühle Schwägerin, der versnobte Freund.

Die Handlung selbst ist, fürchte ich, sehr vorhersehbar, ohne dass ich nun allzu viel verraten möchte. Ihre Mission ist durchaus von einem ständigen Auf und Ab geprägt, schließlich muss Brett für die Erfüllung der Liste ihr ganzes Leben umkrempeln. Dabei verliert das Buch jedoch nicht seinen hoffnungsvollen, optimistischen Grundtenor, der stets nach Harmonie strebt. Schon, es geschehen durchaus Dinge, die Wunden schlagen – da gibt es eine Trennung, den Tod eines Menschen und ein schwieriges Kind, dem nicht geholfen werden kann. Es gibt auch weitere Probleme, die sich lediglich als Missverständnisse entpuppen. Doch all den negativen Geschehnissen wird keine große Bedeutung eingeräumt.

Stets strebt das Buch selbst danach, nach vorne zu blicken, weiterzumachen, dem Negativen nicht zu viel Raum zu lassen. Eigentlich ein schöner Gedanke. Eine durch und durch positive Botschaft, die beim Leser auch als solche ankommt. Dadurch büßt das Buch aber auch an Authentizität ein. Welcher Mensch kommt so schnell über das Ende einer langjährigen Beziehung weg? Wem gelingt es, nach dem bösen Ende einer Freundschaft diese wieder aufleben zu lassen, ohne dass es eine richtige Aussprache gibt, in der die Dinge beim Namen genannt werden? Wer kann es einfach so akzeptieren, dass man ein Leben lang über die eigene Herkunft belogen wurde? Vieles löst sich einfach zu schnell in Wohlgefallen auf. Dies gilt auch für das Ende, das förmlich nach fünfzig weiteren Seiten schreit. Man kann danach streben, das Leben so in etwa leben zu wollen, man sollte es die Hand nehmen, aktiv werden, „Lebe deine Träume“ und so weiter – doch so harmonisch wie Bretts Leben wird es niemals werden. So ist das Leben einfach nicht.


Alles in allem kann ich sagen, dass ich das Buch sehr gerne gelesen habe. Es hat Spaß gemacht, schließlich war es amüsant und interessant. Ein richtiges Unterhaltungsbuch, mit ein paar Aufregern (z.B. Andrew, der arrogante Freund oder Herbert, der scheinbar perfekte Mann schlechthin), aber vor allem vielen humorvollen und schönen Stellen, die einen lächeln ließen. Die „echte“ Liebesgeschichte hat mir persönlich nicht so gut gefallen, da ich einen anderen Mann an Bretts Seite favorisierte (dass sie am Schluss einen kriegt, dürfte ja klar sein). Aber nun gut. Wenn auch ein echter Konflikt bzw. der Tiefgang in diesem Roman fehlte, so kann man doch sagen, dass Spielman, die nachfolgenden Satz in ihrer Danksagung formulierte, etwas in uns bewegt hat: „Letztlich gehört dieses Buch allen Mädchen und Frauen, die das Verb „träumen“ nicht als Infinitiv, sondern als Aufforderung verstehen.“ Wie viele andere hat dieses Buch auch mich zum Nachdenken über meine eigenen Lebensziele angeregt und mir vielleicht sogar ein bisschen Mut gemacht.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen